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Ausstellung des Potsdamer Kunstvereins im Alten Rathaus - Potsdam-Forum  ·  22. Januar bis 13. März 2005

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Andreas Hüneke: Quadrille

Von dem 1980 entstandenen Bild »Quadrille« von Carl Marx, einem wild stampfenden Tanz mit zwei Frauen, einem dunklen, bärenartigen Wesen und einem hochbeinigen Vogel in dunkel glühenden Farben, fühlte ich mich an die spukhafte, bedrohliche Ausgelassenheit des ›höllischen Gelichters‹ in Michail Bulgakows Roman »Der Meister und Margarita« erinnert. Marx kannte das Buch nicht. Ein paar Jahre später erwischte er ein Exemplar davon und schrieb:
»Als ich zum Anfang las: Pilatus, weißer Umhang, mit schlurfendem Kavalleristengang da wusste ich, das wird mein Buch Ja, und höchst verblüffend jetzt mein Bild anzusehen ›Quadrille« mit der roten Margarita, wie treffend zum Buchstoff... seltsam.« (Brief vom 29.12.1983)
Das Buch, dass zwischen der Realität und irren Visionen wechselt, beschäftigte ihn lange, und zwei Jahre später entstand das Bild zum Roman, »wo die ganze Bande, Margarita auf dem Rücken des Katers, über eine Landschaft fliegen..., ich habe eine Küste Afrikas gewählt.« (Brief vom 29.8.1986) Da meldete die Zeitung, dass ein ungarisches Theater die Bühnenfassung des Romans in Berlin aufführen werde. Marx wollte die ›grossartigen Typen‹ sehen.
Der Vorgang ist typisch für Marx, dem alle Realitätsebenen, Eindrücke und Empfindungen in eins flossen: das alltägliche Leben, Zeitungsnachrichten, Kunst, Literatur, Theater, Musik, seine Wünsche, Erkenntnisse und Phantasien, seine Lust am Leben und sein Zorn. Aus all dem formten sich seine Bilder voll farbiger Glut und Dynamik, die sich die Hände reichen zu einem wilden, übermütigen, lustvollen und manchmal auch bedrohlichen Tanz, einer Quadrille, begleitet von glucksendem Lachen und sardonischem Gelächter.

1. Alltägliche Attraktionen

Attraktionen begegnet man im Zirkus. Auch Carl Marx liebte diese Welt der staunenswerten Schaustellung. Der Clown taucht in seinen Zeichnungen fast gleichberechtigt mit den weiblichen Akten auf, daneben in seinen Bildern immer wieder die verschiedensten Artisten mit ihren glitzernden Gewändern und verblüffenden Tätigkeiten. Aber dem Maler war darüber hinaus auch der ganz normale Alltag voller optischer Sensationen. Schon ein Spaziergang durch die Kleinstadt Dessau, ein Besuch im Strandbad oder in der Disco konnten ihn in euphorische Zustände versetzen, wenn er das Verhalten der Jugendlichen beobachtete, ihre der wechselnden Mode unterworfene Kleidung, die Frisuren, die gefärbten Haare, die herausgekehrte Lässigkeit, das scheinbar zufällige sich Präsentieren, die selbstvergessene Ekstase der ›Fans‹. Besuche in Leipzig oder Berlin gar lieferten ihm ›Pulver‹ für ganze Reihen explosiver Bilder.
Von der Expressionisten-Ausstellung 1986 in Berlin schrieb er: »Verblüffend, einbezogen zu den Bildern, dieser jetzige Habitus, lange Röcke, Hackenstiefeletten, Schals noch und noch – farbig, die Burschen Igel oder Mähnen, alles lange und genau betrachtend, ohne in Ekstase zu fallen [...] Habe jetzt ein Langformat gemalt ›in der Expr.-Ausstellg. Berlin‹, da konfrontiere ich diese jungen Leute mit Marc – Kirchner – Lehmbruck – Da steht im Raum mit dickem Hintern das blaue Pferd (im Bild nur ab Hals in die Landschaft reinstossend) und links eine blauhaarige mit hellblauem Anorak – und praller rosa Stiefelhose – und auch einen prallen Arsch (wie Marc-Pferd) in der Hose.... dann Brücke-Bild vom Kirchner, diese bräunlich-rosé Figur in der Mitte ist vorgetreten, gross, und wird von 2 Typen betrachtet, dann die knieende, etwas demütig beugende Mädchenplastik Lehmbrucks, dahinter eine robuste Brillenbewehrte rundgesichtige Junge mit blau-weiss-gelb Schal u. Pulli.« (Brief vom 24.1.1987)
Das tatsächlich Gesehene vermischt sich mit Erinnerungen an Kunstwerke, mit Zeitungsnachrichten und der freien Phantasie. Auf vielen Bildrückseiten kleben Zeitungsausschnitte, die in lose assoziativer oder direkter Verbindung zu dem Bild auf der Vorderseite stehen. Drei unterschiedliche Berichte über Frauenhandball finden sich auf dem Bild »Tor... !«‚ auf dem die Frauen aber statt des Sportdresses nur Hackenschuhe oder Stiefel tragen. Wie im Tanz wirken die beiden Frauen, die ihre Arme vor Begeisterung emporgerissen haben, während die Torfrau sich kopfüber gestürzt hat und doch den Ball vorbeilassen mußte. Marx liebte es, wenn seine Bilder ›frivol‹ waren.

II. Gelächter im Laboratorium

»Nein, ich bin ja kein Komiker, habe keinen Frisiersalon, sondern ein Röntgenlabor«, meinte Marx. (Brief vom 6.3.1981) Er hat die Handlungsweise der Menschen und die gesellschaftlichen Ereignisse stets kritisch beobachtet, in seinen Bildern gleichnishaft dargestellt, und er hat sich oft genug unmittelbar zu Missständen geäußert. So sehr seine Kunst auf Optisch-Äußerliches reagiert, so sehr sie in Farbklängen schwelgt, so geht es doch immer wieder um innere Vorgänge im Menschen und um sein Verhältnis zur Allgemeinheit. Habsucht, Eigennutz und Machtgier waren für Marx wohl die schlimmsten Geißeln der Menschheit, und er wurde nie müde, sie aufzuspüren und in seinen Bildern an den Pranger zu stellen. In seinem Röntgenlabor durchdrang er den äußeren Schein und stellte das klägliche Innere bloß. Hierin ist seine Kunst den Arbeiten von Otto Dix oder George Grosz aus den zwanziger Jahren verwandt. Aber Marx blieb nie in der Verbitterung und Verachtung, im Hass stecken. Stets sind seine Analysen ironisch gebrochen, lacht hinter dem Ernst ein Witz hervor, leuchtet aus dem Dunkel eine reine, lebensvolle Farbe.
Als ihm die Reise zu einer Bauhaus-Ausstellung in Brüssel verwehrt wurde, versetzte er sich dennoch – im Bild – an den Ort seiner augenblicklichen Sehnsucht: mit Sonnenbrille, damit ihn niemand erkenne. Und ›Männeken piss‹ drückt seine Verachtung für die funktionierenden Funktionäre aus: sein Strahl trifft den Vogel, der auch ›Sekretär‹ heißt. Dem ›Funktionär‹ tippt einer überlegen auf die Schulter – das ist das Bild der ›Wende‹ 1989. Auf der Rückseite klebt ein Ausschnitt der Serie LMM (= »Leser machen mit«) der satirischen Zeitschrift »Eulenspiegel«, in der sich Leser zu vorgegebenen Zeichnungen oder Photos witzige Unterschriften ausdenken sollten. Dort ist auf einem Photo Egon Krenz im Gespräch mit einem alten Arbeiter zu sehen. Marx schrieb darunter: »Geh' in Rente, Egon!«
Auf einem anderen Bild wird Madame la Mort aus Jean Cocteaus »Orpheus und Eurydike« mit Fidel Castro, ihrem ›kleinen Diktator‹, konfrontiert; auf der Rückseite ein Ausschnitt aus der »Welt« aus dem Jahr nach der Entstehung des Bildes »Der Castro-Clan bäumt sich noch einmal auf«. Im Röntgenlabor des Ateliers war etwas entstanden, was in der Realität ein Echo fand. Und begleitet wurde es von dem Gelächter des Künstlers, der allen Gespenstern der Vergangenheit und Gegenwart den lustvollen Gebrauch seiner fünf Sinne als ›Firewall‹ entgegenhielt.

III. Don Juan und die Liebe zur Geometrie

Jeder, der sein Werk auch nur ein wenig kennt, weiß, daß die prallen, Iebensvollen, kessen und frivolen Frauen das Metier von Carl Marx waren: Don Juan – ein selbstverständliches Thema. Was aber soll dieser Maler mit der Geometrie zu tun gehabt haben? Gewiss, er hatte einst am Bauhaus studiert, aber davon ist in seiner Kunst doch längst nichts mehr spürbar. Rückseitig klebt auf seinem Gemälde »Don Juan erinnert sich« ein Zeitungsausschnitt über eine Aufführung von Max Frischs Komödie »Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie« im Landestheater Halle 1988. In die Besprechung wurde auch der Hinweis auf eine Max-Bill-Ausstellung in Leipzig einbezogen, was Marx am Rande mit Ausrufezeichen vermerkte. Seit der Bauhaus-Wiedereröffnung 1976 hat sich der Maler in wachsendem Maße gedanklich mit dieser Tradition auseinandergesetzt. Dabei spielten der prägende Grundkurs und die phantasieanregenden Bauhausfeste eine herausragende Rolle, überraschenderweise aber auch die konstruktiven, geometrisch-abstrakten Tendenzen.
In seinen letzten Lebensjahren wandte Marx sein Interesse ganz besonders der Kunst des russischen Konstruktivisten El Lissitzky zu, von dem 1988 in Halle eine Übersichtsausstellung gezeigt wurde.
Das Gemälde »Der Kommissar und die Kokotte« ist eine ›Hommage a Lissitzky‹. Auf der Rückseite ist die Geschichte eines Theaterstückes vermerkt: Die Komödie »Ich will ein Kind haben« von Sergei Tretjakow, deren Aufführung unter Wsjewolod Meyerhold mit der Ausstattung Lissitzkys 1937 verboten worden war, kam 1989 im Berliner Ensemble heraus. Für Marx war es die Geschichte einer emanzipierten Frau, die für ihr Lebensziel, ein Kind zu haben, eines Mannes nicht bedurfte. Das Bild ist gewiss eines der abstraktesten, die Marx geschaffen hat. Das Erzählerische ist in den Hintergrund gedrängt. Aber konstruktiv-geometrisch ist es nicht.
Die durchscheinend aufgespachtelten und zerkratzten Farbpartien der späten siebziger und frühen achtziger Jahre hat Marx in diesen letzten Bildern wieder verlassen. Rein leuchtende opake Farbfelder sind aneinandergesetzt, sparsam, fast karg im Vergleich zu früheren Werken, und doch von einer ungeheuren farblichen Brisanz und Expressivität. Vielleicht ist er hier seiner Lebensform am nächsten gekommen. Denn Marx verkörperte die seltene Verbindung eines Vollblut-Asketen. Die asketische Lebensform geht im allgemeinen einher mit einem Verzicht auf oder einem Verlust an Sinnlichkeit. Bei Marx verband sie sich mit höchstem sinnlichem Lebensgenuss.

IV. Gott und die Welt

Man vermutet asketisches Leben weder hinter seinen Bildern noch hinter seinen Äußerungen: »Mir ist jedoch die lutherische Religion zu hausbacken... so bieder gläubig... Da habe ich lieber eine zauberhaft dekorierte Barock-Kirche wo junge hübsche Frauen auf den Knien liegen und ihre Sünden von gestern, herzzerreissend ihrer Lieblings-Madonna beichten und um Gnade bitten... dann... sind sie durch die Kirchentür, blinken ihre lüsternen Augen auf ein neues... Solch Glauben ist eben ›zweckbestimmt‹ und alles, jede Zeremonie ist ein fascinierendes Schauspiel... wäre ich nicht so ein harter Atheist, würde ich katholisch werden. Schon als Maler..... « (Brief vom 25.1.1983) Gott und die Götter waren dem Maler eins: Möglichkeiten, Gleichnisse über die Welt zu formulieren; ob nun Poseidon mit Sirenen tanzt oder Gottvater Eva instruiert, so dass Adam, erschrocken über das, was da auf ihn zukommt, die Hand vor den Mund schlägt.
Auf dieses Bild spielte Marx ein Jahr später wieder an, als er sich darüber empörte, dass im Büro des Oberbürgermeisters ein Kruzifix aufgehängt worden war. »Doch nehmen wir an Carl Marx, der Maler, würde Bürgermeister. Er ist von Schulkind an Atheist. Sein Vater Sozialdemokrat, baute sich ein Weltbild ohne Gott, ohne Allah...! ›Bürgermeister Marx‹ in seinem Regierungszimmer demonstriert seine geistige Haltung, (wie an seiner Haustür ›No shmoken‹ steht) so hängt er hier ein Abbild von Gottvater in weissen Wolken... und quer darüber ›No‹... Wie wäre man empört... mit Recht..!« (Textentwurf vom 17.7.1990) Er vermutete, der Bürgermeister wolle mit dem Zimmerschmuck ›Geldleute beschaffen‹, und erinnerte daran, dass letztlich ›Geldleute im Tempel‹ Christus ans Kreuz schlagen ließen.
Dieser Vorgang dürfte der Anlass für das Gemälde »Kreuzabnahme« gewesen sein, das in seiner einmaligen Ikonographie leicht als Blasphemie mißverstanden werden könnte. Aber Marx hatte eine viel zu große Achtung vor aufrechten Anschauungen und ehrlichem Glauben anderer, um sie in den Schmutz zu ziehen.

Vielmehr drückt das Bild seine Befürchtungen aus, die neue, von Geld und Kommerz bestimmte Zeit könne das positiv Menschliche, wofür der Gekreuzigte als Symbol steht, vernichten. Nur einer versucht, gequälten Gesichts, den geschundenen Körper zu stützen, dessen linker Arm sich wie haltsuchend noch zum Kreuz emporreckt. Umgeben ist die Szene nicht von den Leidtragenden und den Soldaten, sondern von ›Geldleuten‹ und einem wilden, erotisierten Treiben, das zum Tanz um das goldene Kalb wird; in der Mitte die rote Margarita. Seltsam... wie sich manche Dinge wiederholen und verwandeln.

[aus dem Buch zur Ausstellung]